Organisation oder Organismus

Organisation oder Organismus?

Ist der menschliche Körper nicht ein großartiges Wunderwerk? Billionen von Zellen, jede für sich einzigartig und mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften, bilden miteinander einen vitalen Körper. Keine von ihnen ist alleine lebensfähig. Gemeinsam jedoch sind sie ein lebendiger Organismus, der äußerst anpassungsfähig ist, selbst unter widrigen Bedingungen funktioniert und Angriffe von außen abwehren kann.

Keine Zelle hegt den Anspruch, völlig autark oder eigenständig zu sein, sich auf Kosten anderer zu vergrößern oder durchzusetzen. Alle wirken harmonisch zusammen. So entsteht ein sich selbst organisierendes System, in dem jeder Teil selbst erkennt, wie er zum Wohle des Ganzen wirkt, wann er aktiv oder passiv sein, wachsen oder schrumpfen sollte.

Dieses Zusammenspiel kann man besonders gut beobachten, wenn eine besondere Leistung benötigt wird, von außen Gefahr droht oder der Organismus verletzt wird. Dann helfen alle ganz unkompliziert und wie selbstverständlich zusammen, jeder nach seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten.

Dabei sind die Zellen nicht auf eine bestimmte Spezialisierung festgelegt, wie lange angenommen wurde. Das haben Wissenschaftler vor kurzem herausgefunden. Jede Zelle kann ihre Bestimmung wandeln. Sie kann ihre Aufgabe verändern, ihre Fähigkeiten und sogar ihr Aussehen, um dem Organismus in bester Weise zu dienen.

Der Verfall des lebendigen Organismus

Organisationen sind oft anders. In der Start-up-Phase ähneln sie noch am ehesten einem lebendigen Organismus. Jeder ist inspiriert, engagiert, flexibel und weniger auf seinen persönlichen Vorteil bedacht als auf das Gelingen des Ganzen.

Wächst die Organisation, ändert sich das häufig. Sie wird in einzelne Teile zergliedert, ein Organigramm entsteht, Hierarchieebenen werden etabliert, bereichsspezifische Ziele definiert, Zuständigkeiten und Kompetenzen abgegrenzt.

Das ist der Moment, in dem Teile der Organisation manchmal beginnen, ein Eigenleben zu führen. Die Ab-Teilungen sorgen dann mehr für sich selbst als für das Ganze. Sie versuchen gut dazustehen, sich in schwierigen Situationen oder bei Misserfolgen schadlos zu halten und sich unangemessen zu vergrößern.

Dann sind die Zeiten vorbei, in denen sich alle für das Wohl des Ganzen verantwortlich fühlten. Lebendigkeit, Inspiration und Flexibilität weichen einer Aristokratie, in der nur noch wenige die Geschicke lenken. Wird nicht gegengesteuert, führt das mittelfristig in die Bürokratie, in der ausufernde Regeln bestimmend sind.

Wo steht Ihre Organisation? Organisation oder Organismus?

Den lebendigen Organismus erhalten

Es gibt einige zentrale und zugleich einfache Ansätze, einen lebendigen Organismus zu erhalten oder eine Organisation wieder zu einem solchenwerden zu lassen. Sie sind zentral, weil sie tief liegende Ursachen für dysfunktionale Entwicklungen ansprechen, anstatt Symptome zu behandeln. Sie sind einfach, weil die natürliche Fähigkeit einer Organisation oder Gemeinschaft zu echter Zusammenarbeit angesprochen und unterstützt wird.

1) Rückverbindung mit Zweck, Werten und Zielen

Jede Organisation, jedes Unternehmen, jede Gemeinschaft und Initiative hat einen grundlegenden Zweck, Werte und Ziele. Besonders der Zweck spielt eine wesentliche Rolle für die Orientierung der Handlungen aller Mitglieder. Man kann nicht einfach davon ausgehen, dass jedes Mitglied und jeder Bereich diese Orientierungspunkte von selbst im Blick hat und auch behält.

Dazu bedarf es immer wieder einer Rückverbindung, indem Zweck, Ziele und Werte zum Thema und zum Gegenstand einer aktiven Auseinandersetzung gemacht werden. Und sie müssen in konkretes Handeln übersetzt werden. Nur auf diese Weise kann das Wirken aller Beteiligten in eine Richtung gehen und jeder Teil der Organisation eigenverantwortlich seinen besten Beitrag zum Ganzen beisteuern.

2) Abgrenzungen auflösen

Der Abgrenzungstendenz von Ab-Teilungen und Bereichen kann man aktiv entgegenwirken, indem man sie bewusst in offenen Austausch miteinander bringt - zu aktuellen Fragestellungen oder Themen, zur gemeinsamen Zukunftsgestaltung und zum Lernen aus Erfahrungen – und das nicht nur einmal im Jahr.

3) Transparenz

Ein Bereich kann nur egoistisch taktieren, wenn er sich vom Ganzen abtrennt, Informationen für sich behält, sich selbst in den Mittelpunkt rückt und Entscheidungen intransparent hält. Eine offene Meetingkultur kann hier Wunder wirken. Offen bedeutet z.B., dass alle Besprechungen grundsätzlich transparent und mit Themenbezug angekündigt werden und alle teilnehmen können, die meinen, etwas beitragen oder lernen zu können.

Es geht also darum, eine für den Organismus nährende Umgebung zu schaffen, in der sich seine Lebendigkeit und sein Geist entfalten können.

machbar!

Vielleicht denken Sie, das geht alles nicht so leicht und auf jeden Fall braucht es Zeit, die Sie nicht haben? Womöglich haben Sie auch konkrete Befürchtungen? Es stimmt schon: leicht ist es nicht, ein Organismus zu bleiben oder wieder zu werden. Dabei will einiges berücksichtigt werden. Doch aus Erfahrung sage wir: es ist machbar! Und genauso wie es sich lohnt, für unseren großartigen Körper lebensfördernde Bedingungen zu schaffen, damit er seine Vitalität erhält, lohnt es sich für jede Organisation oder Gemeinschaft.

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