Mitgift

Mitgift

Wie man in Entwicklungsprozessen alle an der Gestaltung, Konzeption oder Lösungsfindung teilhaben lassen kann

In Entwicklungs- und Zukunftsprozessen stellt sich schon zu Beginn die Frage, wer zu welcher Zeit und in welcher Form beteiligt wird. Dabei gibt es durchaus verschiedene Vorstellungen, was Beteiligung eigentlich bedeutet.

Manche verstehen darunter, alle Beteiligten und Betroffenen regelmäßig zu informieren. Andere meinen, dies reiche bei weitem nicht aus. Man müsse alle an der Gestaltung teilhaben lassen. Ob und wie das möglich ist, beleuchten wir in unseren heutigen Beitrag.

Mandatierte Entwicklungsgruppen

Gerade bei Entwicklungsprozessen in Organisationen, aber auch in Verbänden oder in der Zivilgesellschaft, wenn sich große Gruppen einer Herausforderung annehmen, stellen sich viele Fragen. Wer entwickelt eigentlich das Neue? Sind das alle? Wählt man Delegierte? Wird von „oben“ ein Projektteam zusammengestellt? Wie macht man das?

„Es kann doch nicht jeder überall mitreden“ wird uns oft zugerufen, „gerade bei strategischen Fragen oder Umstrukturierungen!“

Unsere Erfahrung ist tatsächlich, dass sich in großen Gruppen nicht gut konzeptionell arbeiten lässt. Dort kann man eher sondieren, analysieren und Entwicklungsschwerpunkte herauskristallisieren. Wir etablieren deshalb kleine, von der Gemeinschaft mandatierte Entwicklungsgruppen, in denen die eigentliche konzeptionelle Arbeit geschieht (mehr zu Entwicklungsgruppen in einem späteren Beitrag).

Mitgift

Aber Menschen wollen eingebunden sein, und zwar in einer Weise, die Ihnen das Gefühl gibt, sie wurden gehört und ihre Sicht und ihre Meinung zählt. Nicht jeder will gleich mitplanen und fühlt sich vielleicht sogar zu wenig kompetent oder überfordert.

Aber man möchte denjenigen, die planen, etwas mit auf den Weg geben. Sicherstellen, dass einbezogen wird, was einem wichtig ist und darauf hinweisen, worauf die Entwicklungsgruppen achten sollen, wenn sie das Konzept erstellen. Man möchte erreichen, dass die eigenen Bedürfnisse mit in der Waagschale liegen.

Wir nennen das eine „Mitgift“. Das ganze System, die ganze Organisation oder Gruppe versorgt die Entwicklungsgruppen mit Aspekten, Kriterien und Bedürfnissen, die bei der Entwicklung berücksichtigt werden sollen.

Diese Mitgift dient denjenigen, die mit Planung und Konzeption beauftragt werden, quasi als ergänzendes und qualitatives Pflichtenheft. Sie haben die Aufgabe, eine Lösung oder ein Konzept zu entwickeln, das alle Kriterien berücksichtigt.

Unstrittig

Die Kunst besteht darin, Bedürfnisse und Kriterien aller so aufzunehmen, dass eine Sammlung entsteht, mit denen alle einverstanden sind. Unmöglich denken Sie? Zu heterogen sind vermutlich die Bedürfnisse?

Unsere Erfahrung ist eine andere. Ideen für eine Lösung sind tatsächlich oft strittig. Die Einen präferieren den Weg links herum, die Anderen einen rechts herum. Beide führen vielleicht zum Ziel, aber man hat seine Erfahrungen und Vorlieben.

Deshalb enthält die Mitgift keine Lösungsansätze. Sie besteht nur aus Kriterien und Bedürfnissen. Und die stehen meistens nicht im Widerspruch zueinander. Im Gegenteil. Selten spricht jemand einer anderen Person ein Bedürfnis ab.

Nimmt man als Beispiel die Bergtour einer Wandergruppe, so wird der Vorschlag für einen bestimmte Aufstiegsroute vermutlich Widerspruch verursachen. Das Bedürfnis, ausreichend Pausen zu machen, hingegen wohl weniger. Noch weniger vielleicht das Kriterium, dass die Route so gewählt wird, dass sie für alle in der Gruppe machbar ist. Damit können alle einverstanden sein.

Entspannung und Akzeptanz

Wenn eine Entwicklungsgruppe die Mitgift gut aufnimmt, wirklich zuhört und dazu verpflichtet wird, auch die Bedürfnisse und Kriterien aller anderen bei der Konzeption zu berücksichtigen, wird sich spontan Entspannung einstellen. Es schafft große Erleichterung, wenn ich sicher gehen kann, dass meine Sicht und meine Anliegen aufgenommen sind und zählen.

Und wenn die erarbeiteten Lösungen oder Konzepte die gesammelten Bedürfnisse und Kriterien wirklich gut abdecken, wenn die Entwicklungsgruppe sie ernsthaft aufgenommen und bei der konzeptionellen Arbeit immer wieder herangezogen hat, dann geschieht etwas fast Magisches.

Sie kennen es vermutlich, dass Projektgruppen nach der Vorstellung von Konzepten nicht selten hart angegangen werden. Kaum ist die Präsentation zu Ende, kommen heftige Einwände und Fragen, die eigentlich keine sind, sondern Kritik ausdrücken. Manchmal sind die Zuhörenden schier fassungslos, wie man zu dieser Lösung kommen konnte. Die Emotionen wallen.

Ganz anders verhält es sich, wenn die Mitgift echte Berücksichtigung fand. Wenn die Entwicklungsgruppe bei ihrer Präsentation das Flipchart mit allen Kriterien und Bedürfnissen nochmal aufhängt und zeigt, wo und wie sie Berücksichtigung fanden, entsteht ein ungeahnter Grad an Zustimmung zu Lösungen und Konzepten.

Einfach, aber nicht leicht

Die Methode Convergent Facilitation, entwickelt von Miki Kashtan, sorgt auf sehr sorgfältige Weise dafür, dass eine gute Mitgift entstehen kann.

Im Grunde ist der wesentliche Ansatz der Methodik recht einfach. Es geht um das Berücksichtigen der Bedürfnisse aller. Das tatsächlich zu bewerkstelligen, ist allerdings nicht ganz leicht.

Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, können wir ihr Buch „The Highest Common Denominator“ (zurzeit nur als e-Book erhältlich) wärmstens empfehlen.

Oder Sie kommen zu unserem nächsten Seminar/Training Anfang Juni und lernen und erproben Convergent Facilitation direkt mit anderen: Training Convergent Facilitation.



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